DIE TEPPICH-INSEL, Holzgerlingen - Auf Teppichspuren durchs "Wilde Kurdistan"
Teppiche, Kamelschmuck und Satteltaschen aus dem Zagros-Gebirge
Ein Traum ging in Erfüllung. Endlich Kurdistan. Wer hat nicht mit glühenden Augen den Karl-May-Bestseller "Durchs wilde Kurdistan" verschlungen? Wir sind auf den Spuren von Karl May, genauer auf Teppichspuren. Wir, das sind mein Sohn Markus und ich. Seine Aufgabe war das Filmen und Fotografieren. Dadurch war ich frei für das Verhandeln und Feilschen um den äußersten Preis. Handeln ist ein Muss im Orient. Wer nicht handelt wird sogar verachtet. Nach 3 1/4 Stunden Fahrt mit unserem Peugeot, solange brauchten wir für die 160 km von Hamadan, waren wir endlich in Senneh, der 200.000 Einwohner zählenden Hauptstadt Kurdistans eingetroffen. Zu Hause in der TEPPICH-INSEL hatten wir uns für diese Einkaufsreise vorgenommen, möglichst nur nach alten oder antiken Teppichen Ausschau zu halten, dass dies schwierig werden wird, weiß der versierte Teppich-Einkäufer, sind doch über 100 Jahre alte geknüpfte Kunstwerke mehr als rar.
Als Fahrer gewannen wir Muhammad. Er hatte sich uns in Teheran als sehr zuverlässig und Kenner seiner Heimat angepriesen. Das war uns recht und so wurde er auch gleich als Dolmetscher verpflichtet. Bald merkten wir jedoch, dass auf ihn wenig Verlass war, da er meistens über Müdigkeit klagte. Um uns nicht zu gefährden, die Straßen waren oft schlecht und die Passstraßen eng und kurvenreich, setzten wir uns öfters ans Steuer - wohlwissend, dass wir ohne Führerschein waren. Fünf Tage später nahm das Verhängnis seinen Lauf. Kurz vor Ghazwin, bei einer Polizeikontrolle, wurde ich dann als Fahrer ertappt und Muhammad gelang es schließlich nach langem Verhandeln und einer Zahlung von 10.000 Tuman plus Bakschisch mich frei zu kaufen.
Bevor wir Senneh erreichten, mussten wir noch die Passhöhe bei Salavatabad überwinden. Vor der Passhöhe eine kritische Situation. Eine Patrouille der Mudschaheddin (Revolutionswächter) mit Kalaschnikows bewaffnet, stoppten unser Fahrzeug. Als sie hörten, dass wir Deutsche waren, ließen sie uns unbehelligt weiter fahren. Auch Muhammad war plötzlich hellwach geworden und meinte später: "Man weiß nie, wie die reagieren, da es in dieser Region zwischen Persern und Kurden immer wieder zu Unruhen kommt".
14 Millionen Kurden leben heute in vier Ländern
Es sind stolze kriegerische Gestalten - diese Kurden. Ihre Kleidung besteht aus blusenartigen Hemden, breite, weit geschnittene Pumphosen, um den Bauch eine breite Schärpe als Gürtel und auf dem Haupt das typische fransenbehangene Käppchen. Was heute eher felt sind Krummdolch und Gewehr. Gastfreundschaft wird sehr hoch angesetzt. Nach der Tradition beschützt der Kurde seinen Gast unter Einsatz seines Lebens. Hier gilt noch"ein Mann ein Wort" oder der Handschlag als Besiegelung eines abgeschlossenen Geschäftes. Bei dieser Reise kaufen wir 550 Teppiche bei sorgfaltiger Bezahlung, nur so erhält man die besten Preise und alles ohne schriftlichen Vertrag. Alle Teppiche sind zuverlässig ein halbes Jahr später in der TEPPICH-INSEL eingetroffen. Die Sehnsucht der Kurden nach einem eigenen Staat ist bis heute ungebrochen. Sie leben heute wie seit alters her in ihrem angestammten Gebiet und sind aufgeteilt in die Grenzgebiete des Ost-Irak, Ost-Türkei, Süd-Kaukasus und West-Persien. Zeit der Meder und Achämendien vor 2.500 Jahren in ihren heutigen Wohngebieten lebten.
Senneh ist berühmt für feine Kelim und Teppiche
Die Hauptstadt Persisch Kurdistans hat heute 200.00 Einwohner und liegt auf 1.372 m Höhe. Interessant, die Stadt besteht aus vielen eingeschossigen Lehm- und Ziegelhäusern. Die Haupstraße trennt den persisch bewohnten Teil von der kurdischen Bevölkerung. Ein Streit zwischen beiden Volksgruppen, kann schnell eskalieren.
Begrüßt wurden wir von Salehi, dem Leiter des dortigen Bazars. Ohne ihn läuft nichts. Ihn braucht man als Mithelfer beim verhandeln der Preise. Später wird er dann auch den Transport der gekauften Teppiche nach Teheran organisieren. Ein Glücksfall war schon am ersten Tag das Auffinden von feinsten Kelim, die im Grundgewebe aus reiner Seide von dem Meister Ali Mohamadi gewebt waren. Ein Exponat in der Größe 144 x 232 cm, mit dem berühmten Blumen-Muster, wurde schnell unser Liebling. Der heute wohl bekannteste Kelim stammt aus dem 16. Jahrhundert und befindet sich in der Privat-Sammlung Thyssen, Lugano- Castagnola. Weitere aufgespürte Schätze waren mehrere Hochzeits-Kelim mit reichem Quastenschmuck, Salz- und Satteltaschen, Zeltbändern, Sitzpolster, Pferde- Hundedecken. Alle Exponate waren Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens der Bauern und Nomaden. Verwendet werden sie bei uns gerne als Wandschmuck, als schmückender Bodenbelag oder wertvolles Kleinod auf Sofas und Sessel. Ein weiterer Glückskauf war ein extrem fein geknüpfter Senneh, Größe 79 x 335 cm, mit 400.000 Knoten/m² und der Signatur von Knüpfmeistern Shams. Bei Knüpfmeister Fatuli erstanden wir nach harten Verhandlungen acht 60 x 90cm große Brücken mit dem seltenen Hasht Ghuli-Muster (zu Deutsch: Acht Blüten).
Bei den Senneh-Knüpfern
Zum ersten Mal dürften wir die Frauen beim Knüpfen ihrer Senneh-Teppiche filmen. Geknüpft wird im Hausfleiss. Die Lehm-Häuser sind in der Regel mit einer hohen Mauer umgeben. Die Häuser selbst sind meistens durch eine grell bemalte Blechtüre zu betreten. Die Böden der Innenräume unseres Hauses waren mit weichen Teppichen ausgelegt. Im größten Raum befand sich der vertikale Knüpfstuhl. Filmen konnten wir nun zwei tief verschleierte Knüpferinnen, die in unglaublicher Schnelligkeit Knoten für Knoten um die Kett- und Schussfäden, die das Grundgewebe bilden, schlagen. Auf 100 x 100 cm Fläche müssen entsprechend der Tradition 250.000- 300.000 Florfäden eingeknüpft werden. Welch große Kunst wird hier noch gepflegt und an die Kinder weitervererbt. Man rechnet für einen Quadratmeter knüpfen, vorausgesetzt eine Arbeitszeit von einem 8- Stundentag, etwa ein halbes Jahr. In Augenhöhe hängen die Wollknäuel, blitzschnell holt sich die Meisterin den entsprechenden Faden, der gerade benötigt wird. Geknüpft wird nach der auf Millimeterpapier gezeichnente Mustervorlage. Wieder im Bazar angekommen, erwarb ich für meine Töchter in der Kleiderstraße drei wunderschöne Festtagskleider. Alle waren reich mit Pailletten, Silber- und Goldfäden verziert.
Im Herzen Kurdistans - Die Halwai- Berge
Unsere Reise ging jetzt noch tiefer ins wilde Kurdistan. Wir waren auf ca. 2.000 m Höhe angekommen und so richtig im Zagros-Gebirge. Um uns schneebdeckte Berge. Der höchste Gipfel ist der Zardeh Kuh mit 4.600 m Höhe. Von Wald, wie fast überall in Kurdistan, keine Spur. Man hat vor Jahrhunderten die Wälder abgeholzt, aber nie an Aufforstung gedacht. Der Gebirgszug selbst erstreckt sich von der Hauptstadt Senneh im Norden beginnend über eine Länge von 1.200 km und einer Breite von 150 km bis nach Shiraz im Süden. Wir haben heute 10° C Minus, Schnee und Kälte. Jetzt vor uns das Dorf Takab, in dem die allerfeinsten Bidjar-Teppiche mit 500.000 Knoten/m² geknüpft werden. Es ist gegen 11.00 Uhr, als wir eintreffen. Fatolah Achmadi, wir würden bei uns sagen der Vorsitzende des Gewerbevereins, empfängt uns. Er weiß um unsere Wünsche und der Suche nach antiken Teppichen. Die Straßen sind aufgeweicht und man versinkt knochentief im Schlamm. Wir streifen trotzdem durch das Dorf, um den Einwohnern zu zeigen, Einkäufer aus Deutschland sind da. Aber kein Kurde zeigt sich, oder beitet uns seine Teppiche zum Kauf an. Dafür wird Markus bestaunt. Er hat durch seinen Dienst bei der Armee eine Glatze. Um keinen Anstoß zu erregen, musste er seine vorsichtshalber mitgebrachte Mütze aufziehen. Wir stapfen weiter durch den Morast der Hauptsraße (es gibt kaum geteerte Straßen) und steuern einen kleinen schwach beheizten Raum an. Der übliche Schwarztee mit viel Kandiszucker wird gereicht. Es ist gegen 18.00 Uhr als die ersten Kurden kommen. Bald sind es 20 oder 30, die ihre vom Vater oder Großvater geerbten Teppiche uns Deutschen verkaufen wollen. Es wird eng in dem kleinen Raum. Wir werden von allen Seiten bedrängt und geschubst, jeder will uns seinen Teppich verkaufen. In der schlechten Luft und dem lauten Sprachgewirr müssen wir kühlen Kopf bewahren und prüfen jedes Stück nach Alter, Feinheit, Muster, Farbharmonie und etwaigen Beschädigungen. Endlich sehen wir alte und antike Bidjar vor uns liegen. Jetzt wird gefeilscht und gehandelt um jeden Tuman. Achmadi hilft uns und wir bekommen in den meisten Fällen unseren Wunschpreis. Der obligatorische Handschlag besiegelt das Geschäft. Herausragend waren drei Exponate. Zum einen ein 50 Jahre alter Garus-Bidjar Größe 140 x 200 cm, in Teewasser gewaschen. Diese Spezialwäsche ist das Geheimnis eines Wäschemeisters. Die Farben erhalten durch diesen Wasch-Vorgang eine wärmere Ausstrahlung. Ein weiterer Höhepunkt ist ein um 1900 geknüpfter Halwai-Bidjar Größe 217 x 315 cm mit einem seltenen Drachen/Spiralranken-Motiv. Ein Muster, das auch vor 100 Jahren nur ganz selten geknüpft wurde. Weiter begeistert ein ebenfalls antiker Halwai-Bidjar Größe 217 x 310 cm mit dem berühmten Mahi-to-Hosh-Motiv (zu Deutsch: Fische im Teich).
Geknüpfte Wunderwerke mit 500.000 Knoten pro m²
Zum ersten Mal konnten wir auch hier die Meisterin beim Knüpfen der besten Strapazier-Teppiche der Welt filmen. Was für ein Erlebnis, den flinken Fingern zu folgen, die in atemberaubender Geschwindigkeit 500.000 Knoten auf den Quadratmeter ins Grundgewebe verknüpfen. Der Grund, warum Bidjar-Teppiche brettartig dick und fest sind, liegt im Grundgewebe. Die Meisterin schlängelt durch die Kettfäden einen extrem dicken, nassen Baumwollfaden (Schussfaden), der mit dem Schlagkamm hart an die vorher geknüpfte Florreihe angeschlagen wird. Dazu werden weitere drei bis vier dünnere Schussfäden durchgezogen und wieder angeschlagen. Erst dann wird die nächste Florreihe geknüpft. Wir konnten uns nicht satt sehen an dieser mindestens 2500 Jahre alten Handwerkskunst. Es war Ehrensache, dass auch ich das Knüpfen probieren musste. Ich gebe zu, es war ein vergeblicher Versuch. Insgesamt konnten wir 65 Exponate erwerben. Fazit: Es gibt sie also doch noch, die alten und antiken Kunstwerke. Alle Exponate können jetzt in der TEPPICH-INSEL im Rahmen der Ausstellung "Auf Teppichspuren durch das wilde Kurdistan" besichtigt werden. Führungen sind nach Absprache jederzeit möglich.
Aus Kreiszeitung Böblinger Bote, 22.09.2011 und Gäubote Herrenberg, 24.08.2011
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